Meine Arbeit mit angewandter Stimmphysiolgie hat u.a. die Wahrnehmung als Basis. Warum? Was bringt es Dir, Dich in Wahrnehmung zu schulen und was ist das überhaupt?
Wenn es zB darum geht die Höhen wieder besser zu kriegen, oder Heiserkeit zu vermeiden, dann dient mir die Wahrnhmeung als Tool. Dazu klären wir am Besten erst mal, was ich mit Wahrnehmung überhaupt meine. Wenn wir zB spüren, dass unsere Hand kalt oder warm ist, ist das Wahrnehmung, wenn wir feine Vibration spüren beim Singen, dann ist das Wahrnehmung, aber auch wenn wir Schmerzen spüren, ist das Wahrnehmung.
Wahrnehmung kann also sehr viel sein. Rein körperlich, also Körperwahrnehmung genannt, ist es zwar eingegrenzt, aber es ist immer noch relativ viel. Von Schmerzgefühl, bis Temperaturempfinden über Vibrationsempfinden, all das ist Körperwahnehmung.
Wenn wir anfangen uns körperlich zu spüren, Körperempfindungen wahr zu nehmen, dann lernen wir ua zu differenzieren. Was passiert wann, wie reagiert mein System auf XY und was tut mir gut, was eher nicht, was braucht mein System, was bräuchte mein System. Es lehrt uns körperliche Bedürfnisse, von Hunger, Durst und Frischluftbedürfnis, bis hin zu Sitzposition, Stehposition, Schmerzverhinderung aber eben ganz weit nach Hinten auch welche verschiedene Zustände gibt es im Gewebe, wie sind Faszien drauf, wie trifft Klang aka Vibration auf Gewebe und anders rum.
Vibrationsempfinden kann zB sein, dass ich die Hand auf den Massagestuhl lege und die relativ starke Vibration spüre bis hin zur feinen Vibration, die zB den Raum hinter der Nase oder hinter den Augen berührt wenn man höherer Grundtöne singt. Oder die Vibration von tiefen Frequenzen, die den Brustkorb berührt beim tief singen. Es braucht nicht so viel Vorstellungsvermögen um festzustellen, dass es selbst in diesen Beispielen viele verschiedene Versionengeben kann. Frequenzen vibrieren, das ist ihre Natur, zu lernen sie zu unterscheiden, zu spüren, welche Klanggemeinschaft sich wann und wie verschieden zeigt, ist Üben von Wahrnehmung. Im ganz Feinen.
Aber bevor ich hier in ein Beispiel gehe, gucken wir uns mal eine Wahrnehmungsübung ganz ohne Klang, ohne Vibration an.
Setzt Dich dafür in Ruhe hin, bequem wenn möglich. Jetzt lege eine oder zwei Hände auf die Oberschenkel. Dort dürfen sie erst mal einfach nur liegen. Dann sagst Du dir, still und in Gedanken: „ich heb‘ die Hand und ich führ den Befehl nicht aus“. Es ist ein Gedankenspiel, die Hand bleibt liegen, bleibt entspannt. Reine Gedanken.
Erst mal guckst Du ob das mit der Ansage überhaupt geht. Wenn nicht, wenn zB die Sehnen im Arm zucken, oder die Hand sich tatsächlich physisch hebt, dann einfach die Hand noch mal anheben und wieder hinlegen und die Frage „ich heb‘ die Hand und ich führ den Befehl nicht aus“ wiederholen. Immer wieder. Dabei einen inneren Blick üben, den ich eher als „Weitwinkelblick“ bezeichnen würde, im Gegensatz zu einem „Teleblick“ (frei aus der Fotografie).
Diese Übung kommt aus der Eutonie. Die Eutonie ist eine Körperarbeit aus den 1930 Jahren. Hier wird die Frage nach dem ‚eu‘ Tonus, dem ‚richtigen‘ Tonus gestellt, damit Systeme leichter laufen können. Tonus ist ein grosses Thema in der Stimmarbeit, egal ob Sprech- oder Singstimme. Es geht um den Tonus des Systems, des Gewebes.
Wenn wir also die Übung von oben machen („ich heb‘ die Hand und ich führ den Befehl nicht aus“) und wir zulassen können, was bei der Übung passieren kann, dann wird Gewebe im System, zB im Mundraum basischer sein, als es vor der Übung war. Erstaunlich!
Was heisst das? Basisches Gewebe ist im Gegensatz zu säurehaltigem Gewebe, tendenziell immer parasympathischer. Es bedeutet auch dass das Gewebe durchlässiger wird, für zB Klang. Voila. Und schon sind wir da, wo wir hinwollen mit all der Wahnehmungsarbeit: durch Wahrnehmungsübungen können wir den Zustand des Gewebes „verändern“.Verändern kommt hier in Anführungszeichen, weil wir es nicht ‚machen‘ sondern es zulassen.
Zurück zur Wahrnehmung und unserer Übung. Du hast sie womöglich nebenher weiter gemacht. Das wäre ideal, sonst wiederholst du einfach noch mal „ich heb‘ die Hand und ich führe den Befehl nicht aus“.
Vielleicht darf sich jetzt etwas zeigen. Jede Wahrnehmung ist jetzt erst mal ok. Ich gebe ein paar Beispiele, was so wahrgenommen werden könnte:
zB die Hand könnte sich schwerer oder leichter anfühlen, sie könnte wärmer oder kälter sein, sie könnte sich kleiner oder grösser anfühlen, sie könnte sich so anfühlen, als ob sie die Form verliert, sie könnte mit dem Oberschenkel verschwimmen, oder gefühlt schweben, es könnte eine Art Rauschen oder Summen in der Hand wahrgenommen werden.
Sobald ich irgendeinen vergleichbaren Zustand in der Hand erlebe, hat die Übung quasi geklappt. Jetzt könnte man, wenn man die Übung schon sicher bewerkstelligt, diese Hand mal vorsichtig in die Bewegung führen und gucken, darf dieser neue Zustand bleiben, oder darf etwas von dem zustand bleiben.
Wenn das so ist, dann hat sich schon was auf Gewebsebene getan, Gewebe ist etwas eutonischer geworden, chemisch ist etwas passiert und der Zustand ist pauschal gesagt, tendenziell durchlässiger und damit klangorientierter.
So hat uns eine Wahrnehmungsübung, die wir möglichst (mental) neutral machen, zu einer Zustandsveränderung geführt, die die Basis für eine Selbstorganisation des Stimmsystems sein können.
Und das ist was uns in meiner Arbeit am meisten interessiert: Selbstorganisations des Systems, damit sich Klang selbst organisieren kann, was nichts anderes ist als Selbstregulation. Parameter dazu sind Pulsation undSängerformant. Aber dazu in einem weiteren Artikel mehr.
Wahrnehmung ist also mitunter Basis für das Lichtenberger®Modell, die angewandte Stimmphysiologie, die somatische Körperarbeit, Trauma sensibel, Faszien– und Vagus-orientiert, die für meine Arbeit an Stimme, Klang und Entwicklungsarbeit die Grundlage ist.
In wie weit Mindset und Persönlichkeitstraining mit der Wahrnehmung und der Selbstregulation zu tun hat, auch hierzu wird es einen Artikel geben. Bis dahin: frohes Wahrnehmen, sei gut zu Dir und denk dran, ab und an einfach nur ausatmen.
Von Herzen, Julia 💕
Deine Stimmpädagogin für Stimm-und Sinnkrisen, buchbar für Kurse und Einzelsitzungen, online und in Stuttgart, aber auch on the road 🚍🚘🚠🛵🚲🚂✈️🚊⛵️🛳🚢 im Deutschsprachigen Raum, aber auch gern im englisch sprachigen Raum 🇬🇧🇺🇸
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Quellen zum nachlesen:
Lichtenberger Dokumentationen 1-3